Würden Sie sich einen Beltracchi kaufen? Einen echten natürlich. Eines seiner eigenen Werke. Nicht dass seine Fälschungen nicht auch eigene Werke gewesen wären. Aber ein Unterschied ist da doch. Oder nicht? Na, zumindest die Signatur. Der Fälscher, Künstler, Geschichtenerzähler, Mensch Beltracchi wird 2021 70 Jahre alt. Der Hype um ihn reißt nicht ab. Auch weil er ihn geschickt nährt.
Foto: StoryArt.business
Wolfgang Beltracchi[i] ist ein überaus bemerkenswerter Maler. Immer schon. Ein Genie. So wird er gefeiert. So zelebriert er sich selbst. Zehn Jahre ist es nun her, dass Beltracchi als einer der größten Kunstfälscher der Nachkriegsgeschichte aufflog, und ins Licht trat. Auch ins Rampenlicht. Gemalt hat er schon immer. Auf höchstem Niveau. Auch Geschichten erzählt hat er schon immer. Ebenso kunstvoll, ebenso wirkungsvoll wie seine Malerei. Wir können von ihm lernen. Von seiner Art des Storytelling. Und wie er es kommuniziert.
40 Jahre fälschen. Den Kunstmarkt an der Nase herum- und vorführen … Kein Problem.
Man liebt ihn. Auch weil er den Finger in eine Wunde gelegt hat. Die Wunde: Kunstmarkt. Kritik am Kunstmarkt findet sich wohl seit es ihn gibt. Möglicherweise war sie nie berechtigter als in unserer Zeit. Doch diesen für sich zu nutzen, auszunutzen, an der Nase herumzuführen, das schaffen nur wenige. Beltracchi schaffte es. Über viele Jahre. Mit großem Erfolg. Und wie? Die Geschichte ist vielerzählt. Auch von und mit Beltracchi.
Neben nahezu perfekter Malerei und unglaublichem Wissen über Künstler, ihre Handschrift, Stile, Malweise, Materialien war es auch und im Besonderen die Gabe des Geschichtenerzählens, die eine Schlüsselfunktion seines Fälscherdaseins darstellte: Geschichten erzählen über seine Bilder.
Der Geschichte eines Bildes, seiner Provenienz, kommt auf dem Kunstmarkt, gerade wenn es um dessen Echtheit geht, immense Bedeutung zu. Ebendiese Provenienzen scheute sich Beltracchi nicht zu fälschen. Und benötigte Belege zu schaffen. Vielleicht ist das – neben dem Signieren – das eigentliche Fälschen. Das, was wir seit Jahren mit großer Faszination betrachten.
Spot an. Auf die Bilder.
Der Erzähler Beltracchi bleibt in dieser Zeit im Dunklen. Zieht die Fäden. Erfindet. Geschichten. Nicht einfach so. Auch da ist er ganz Künstler. Er verbindet reale Gegebenheiten geschickt mit erfundenen Elementen. Knüpft sie an die eigene Geschichte bzw. die seiner Frau Helene, wo irgend möglich. So viel Realität wie möglich, so viel Fiktion wie nötig, könnte man sagen.[ii] Sammler, Sammlungen, Bilder. Fiktion. Mit einem Funken Wahrheit. Nun ja, einem kleinen Feuer Wahrheit. Bestimmte Personen gab es. Auch Galerien. Auch verwandtschaftliche Beziehungen. Nur eben nicht die Sammlung. Die Bilder. Aber es gab belegte Informationen zu den Bildern. In Werksverzeichnissen, anderen Quellen. Die Bilder selbst gelten als verschollen. Als Lücken im Werk des jeweiligen Künstlers. Beltracchi malte sie neu. Erfand sie neu. Gänzlich. Ähnlich den Geschichten. Mit einem Funken Wahrheit. Einem kleinen Feuer.
Damit nicht genug. Er brauchte Belege. Für die Geschichten. Und schuf sie. Geschichten zu den Geschichten. Erneut. Visualisiert. Um wirklich glaubhaft zu sein. Er fälschte Fotos. Schuf neue. „Bewies“ mit ihnen, dass die Gemälde existierten. Im in den Geschichten genannten Besitz.[iii] Es funktionierte. Gut. Sehr gut. Gelungenes Storytelling. Bis ins Detail.
„Ich, Beltracchi“ – Ins Licht. Mit Storytelling zum Genie.
Bescheidenheit ist Beltracchis Sache nicht. Zumindest, wenn es um sich, seine Malerei, seine Kunst geht. Das handwerkliche Können ist ihm nicht absprechbar. Zu lange malt er schon. In vielen nur denkbaren Stilen der Großen. Und in einer Qualität, die sich … nun, auf dem Kunstmarkt bewährt hat, könnte man sagen.
Allein die Prozessdaten geben das kaum her. Lediglich 14 Bilder wurden als Fälschungen im Prozess verhandelt. Weitere Bilder wurden diskutiert; nach Prozessende. Sie sind vom BDK[iv] in einer extra erstellten Datenbank gelistet und veröffentlicht. Genannt sind mehr als 50 Werke, die unter Verdacht stehen, gefälscht zu sein. Genaues weiß man nicht. Und natürlich hält sich der Künstler bedeckt.
Hier wiederum beginnt die Geschichte Beltracchis. Hier tritt er ins Licht. Hier beginnt ein weiteres Kapitel der Faszination Beltracchis. Denn er erzählt. Nun über sich.
Viele Künstler hätte er fälschen können, gar kein Problem. Er hat es. Das Können. Alte Meister. Jugendstil. Expressionisten. Geht alles. Man sieht es. Auch in seinen heutigen eigenen Werken. Immer wieder erkennt man in ihnen einen Maler. 50 Künstler etwa hätte er im Repertoire der Fälschungen gehabt, in seinem Leben. Mehr noch hätten ihn interessiert.
Wie viele Bilder es letztlich wirklich waren? – In verschiedenen Talkshows benennt er die Anzahl gefälschter Bilder auf um die 300. Konkret wird er nicht. Hebt er an, mehr zu erzählen. Will er wirklich ins Detail gehen. Dorthin, wo es interessant wird. Springt auch mal Helene ein. Verbietet ihm, weiter zu erzählen. Auch sein Anwalt. Geschichten also, die gut kontrolliert sind.
Das setzt sich auf vielerlei Weisen fort. Ruhm? Sei ihm nicht wichtig. Geld? Keinesfalls. Spaß. Es war der Spaß, die reine Freude, die ihn antrieb. Ist das so? Er ist schwer einzuschätzen. Kommt mit einer Leichtigkeit daher. Die beeindruckt. Das große Anwesen in Frankreich. Futsch. Das luxuriöse Leben. Ebenfalls. Alles kein Problem. Glaubt man Beltracchi.
Und das Fälschen? Ist das nicht kriminell? Nun ja. Niemand wurde verletzt. Niemand bestohlen. Ja, die Strafe war gerechtfertigt. Aber: Für die einen ist man kriminell. Für die anderen Künstler. Und dann der Kunstmarkt …
Nicht zu vergessen diese wunderbaren Anekdoten. Geschickt setzt er sich immer wieder auch in Bezug zu Picasso. Erzählt Anekdoten, die an antike Topoi erinnern. Das besondere Kind. Das frühe Genie. Die Kastration der anderen aus Ehrfurcht vor dessen Können. Des Genies. – Genial!
Und nun? Free Method Painting. – Neuer Ansatz. Treffer ins Beltracchi-Schwarze.
Sich als Künstler zu entwickeln, ist unerlässlich. In jeder Schaffensphase. Und bis ins hohe Alter. Dies gelingt; oft in Bravour. Mitunter nicht. Das Spätwerk so mancher Künstler bleibt hinter dem sonstigen Lebenswerk zurück. Dieses Ringen ist dem Künstlersein, dem eigenen Werk inhärent. Ich erinnere gut die (bis) Mitte der 2000er-Jahre entstandene Werkreihe eines anderen großen deutschen Künstlers: Georg Baselitz. Er stellte sich nicht allein in Konkurrenz zu jüngeren Kollegen, sondern gar zu sich selbst, und brachte mit der Reihe „Remix“ sein Werk noch einmal neu auf den Punkt. Nicht ganz unumstritten zu Beginn. Dieses Sich-neu-Entdecken, -Suchen, -Finden durchlebt Beltracchi seit dem Ende seiner Fälscherzeit intensiv, scheint mir. Was nicht einfach sein dürfte. Oft braucht es ein Leben, um sich im eigenen Werk zu finden. Beltracchi aber erhebt die lebenslang geübte Methode zur Kunst: Free Method Painting – nennt er seine Malerei. Und im Grunde ist dies für sein künstlerisches Schaffen treffend. Denn betrachtet man sein derzeitiges Werk, unterscheidet es sich nur bedingt von dem, was er zu Fälscherzeiten machte. Verschiedenste Malstile, „Handschriften“ vergangener Künstler ins eigene Werk zu integrieren. Es findet sich die – gefühlt – gesamte Kunstgeschichte neu be- und verarbeitet, in die Jetztzeit gezogen. Besonders auch in den Porträts. Es ist beeindruckend, dies zu sehen. In diesem Können, in dieser Freiheit. Es ist ein Spielen und neu Verhandeln – obwohl verhandeln bereits ein Mehr, ein über das Alte hinausgehen beinhaltet – das zumindest auf den ersten Blick fraglich scheint. Vielleicht ist es eher ein Dialog. Er kommt ins Gespräch. Mit den Meistern der Vorzeit. Und er hat die notwendigen, schier unfassbaren Fertigkeiten im Gepäck. Mit Leichtigkeit.
Rundum-Marketing und -Kommunikation. Das Beltracchi-Phänomen.
Ein Weiteres kommt hinzu. Die Kommunikation des Genies. Die Stilisierung zum Genie. Zur Marke. Mit sämtlichen nur denkbaren Mitteln. Rundum-Marketing. In Reinform.
Früh bereits begannen Interviews. In Fernsehen. In Presse. Die Dokumentation Die Kunst der Fälschung von 2014. Eine Dokumentation mit ihm. Schaut man auf den Inhalt, entstand er vor der Verurteilung und während der Haftzeit. Das berühmte Spiegel-Interview von 2011. Dem Jahr der Verurteilung. Talkshows mit ihm 2014 zum Beispiel und 2015.
Es folgten Bücher von ihm und Helene: Einschluss mit Engeln (Gefängnisbriefe, 2014); Ich, Beltracchi – Jahrhundertfälscher (Du, Kulturmagazin, 2015); Faussaires de génie – Autoportrait (2015); Selbstporträt (2018). Zeitungen und Zeitschriften ziehen nach, immer wieder: Forbes, Stern, Süddeutsche, Zeit, Handelsblatt, Tagesspiegel …
Und Beltracchi selbst? Er ist da. In Persona, in Ausstellungen. Print, TV, Internet, Social Media – kaum ein Medium oder Kanal, in und auf dem Beltracchi nicht präsent ist. Neben seinen Webseiten – zur Malerei und zur Dokumentation – ist er auf nahezu sämtlichen Social-Media-Kanälen aktiv. Instagram, Facebook, LinkedIn … Er verkauft seine Malerei, T-Shirts, im Grunde sich selbst. Aufs Beste. Er ist eine Marke. Die Marke: Beltracchi.
Man liebt den Fälscher. Gestern wie heute.
Man liebt diese Marke Beltracchi. Man liebt auch den Fälscher. Vielleicht weil man Genies liebt. Und macht es Beltracchi erstaunlich leicht, sich zu inszenieren. Stützt ihn sogar darin. Er wird herumgereicht. Von Talkshow zu Talkshow, von Interview zu Interview. Gar eine Doku. Er ist ein angenehmes Gegenüber. Kritische Fragen kommen selten auf. Viele lässt Beltracchi nonchalant ins quasi Leere laufen. Gibt sich ein wenig als Täter, ein wenig als Opfer, wie eine neutrale Leinwand, die man wunderbar mit den Projektionen füllen kann, die man wünscht. Und man dankt es Beltracchi. Verehrt ihn fast. Der Tagesspiegel schreibt 2011 über einen amerikanischen Kunstskandal: „Auch die amerikanische Welt hat jetzt ihren Kunstskandal.“[i] Ein Glück. Was würde fehlen.
Und Beltracchi mit 70+?
Das Phänomen Beltracchi hält an. Ungebrochen. Das wird 2021 nicht anders sein. Zwei Jubiläen: 70. Geburtstag. 10 Jahre seit seiner Verurteilung. Selbst Vorträge an Universitäten sind geplant. Beltracchi hat also noch etwas zu sagen. Und man hört ihm zu gern zu.
Ja, 2021 wird ein Beltracchi-Jahr werden. Ohne Frage. Wenn Corona es zulässt. Aber ein Beltracchi lässt sich nicht aufhalten. Er sucht und findet Wege. Und neue Geschichten. Aus seinem Leben. Von seinem Wirken. Von seinem langen Abenteuer Fälschen. Und wohl auch von dem Neuen: der eigenen Kunst. Auch die funktioniert. Gut. Dank der heiß gehaltenen Marke „Beltracchi“. Und möglicherweise unabhängig von der Qualität des Werks.
[i] Wolfgang Beltracchi heißt eigentlich Wolfgang Fischer. Er wurde 1951 geboren und stammt aus Nordrheinwestfalen. 2011 wurde er wegen Fälschung von Gemälden in 14 nachgewiesenen Fällen zu 6 Jahren Haft verurteilt.
[ii] Diese Geschichten sind vielbesprochen und in verschiedenen Quellen nachlesbar. Um lediglich ein Beispiel zu nennen: In den 90ern erfand Beltracchi die Sammlung Jäger. Den Unternehmer Werner Jäger aus Köln gab es wirklich. Auch hatte er verwandtschaftliche Verbindung zu Beltracchis Frau Helene; er war ihr Großvater. Ebenso gab es den in diese Geschichte involvierten Kunsthändler Alfred Flechtheim in Düsseldorf wirklich, bei dem Jäger angeblich die Bilder für die Sammlung gekauft habe; die so in den Besitz von Beltracchis Frau Helene gekommen sei.
[iii] Dafür gestaltete Beltracchi Bereiche seines Ateliers um. Steckte Helene in zeitgemäße Kleidung, drapierte passende Möbel und fügte ebenjene Bilder ein, die er gefälscht hatte und zu verkaufen beabsichtigte.
[iv] BDK = Bundesverband Deutscher Kunstversteigerer; https://web.archive.org/web/20160919204857/http://chilli-freiburg.de/02-freiburg/bdk-veroffentlicht-alle-ermittelten-werke-des-freiburger-kunstfalschers-wolfgang-beltracchi/
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