Kennen Sie Bruce Darnell? Ja? – Ich kannte diesen Namen nicht. Lebt man grundsätzlich fernsehlos, kann das vorkommen. Für alle, die ebenfalls ohne Fernsehen leben oder bei Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“ oder „Das Supertalent“ zügig die Fernbedienung zur Hand haben, um wegzuzappen – Bruce Darnell ist Choreograf und Model und wurde als Jurymitglied dieser beiden Sendungen durchaus bekannt. Für alle, die Darnell schon immer lieben – sorry, tut mit leid. Aber nun kenne ich ihn ja.
Kennen Sie Aristoteles? Ja?
Es mag den einen oder anderen überraschen, Darnell in einem Satz mit Aristoteles (auch Freytag und Campbell) zu lesen. Wenig scheint zunächst weiter entfernt. Doch die beiden – sie alle – haben etwas gemein: das Drama. Sie alle beschäftigen sich auf die eine oder andere Weise mit dem Dramatischen. Und denkt man bei Aristoteles schnell an Tragödie, Dramenschemen und Katastrophen, ist es zum „Drama“ von Darnell doch ein etwas längerer Schritt. Last but not least – es geht ums Storytelling. Und natürlich eine Geschichte über Geschichten – und das Drama.
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Tod der Komödie oder Tod durch die Komödie … Wider das Lachen
Sie wissen schon, an einem kommen Marketing und Kommunikation in Unternehmen keinesfalls mehr vorbei: am Storytelling. Und was Geschichten ausmacht und wie sie funktionieren, wird seit Tausenden Jahren bereits diskutiert. Und so blicken wir zurück. Manchmal bis zu Aristoteles, der in seiner Poetik (335 v. Chr.) von Komödie, Tragödie und anderen nachahmenden Künsten spricht und erwähnt, dass sie „Dramen“ genannt werden. Seine Ausführungen zur Tragödie sind uns erhalten, ihnen folgen wir im Grunde noch heute. Ausführliches von ihm zur Komödie ist uns – so wissen wir seit Ecos Der Name der Rose – 1327 in einem Benediktinerkloster an den Hängen des Apennin abhandengekommen, in den Flammen. Und auch wenn William von Baskerville und Adson von Melk verzweifelt gegen die Flammen, den Gift-Tod und damit für das Lachen und die aristotelische Komödie kämpften, bleibt sie doch in den Flammen zurück und wir müssen uns mit der Tragödie begnügen.[i]
Drama hin, Drama her … aber wie?
Aristoteles unterteilt die Tragödie – also letztliche eine richtig gute Geschichte – in sechs Teile: 1. Handlung/Plot/Mythos (mythos), 2. Charaktere (êthê), 3. Erkenntnisfähigkeit (diánoia), 4. Sprache beziehungsweise sprachliche Form (lexis), 5. Inszenierung (opsis), 6. Melodik (melopoiia). Und er gibt eine gewisse Grundstruktur an, die Prolog, Episode und einen Exodos umfasst (und für die Zeit übliche Chorpartien, die das Drama in sich noch einmal strukturieren), zur Peripetie (dem Wendepunkt) führt und in der Katastrophe endet. Dramatisch eben. Auch einen Helden gibt es. Na, das ist doch ein Anfang.
Ergänzt man die bei dem römischen Dichter Horaz in der Ars poetica (Epistolae ad Pisones, ab 13 v. Chr.) zu findende Einteilung in 5 Akte (die rinascimentalen Entwicklungen, so spannend sie sind, lassen wir hier aus), haben wir die Grundlagen für den von Gustav Freytag (1816-1895) in seinem Werk Die Technik des Dramas entwickelten sogenannten pyramidalen Aufbau des Dramas.[ii] Eine Ausgangslage (Exposition), die sich steigert bis zum Wendepunkt (Peripetie); und dann kommen Ereignisse, die das eigentliche Ende, das Ergebnis - in diesem Fall die Katastrophe - hinauszögern. Katastrophe und Ende.
Und nun sind wir schon ein ganzes Stück weiter. Denn im Grunde kann so ziemlich jede gute Geschichte entsprechend diesem Schema aufgebaut werden. Egal welche Geschichte man erzählen will. Und auch wenn die Katastrophe ein Happy End ist.
So bleibt der Held übrig …[iii]
Bereits bei Aristoteles hatte es der Held nicht leicht. Beziehungsweise der Autor, der den Helden schuf. Denn es gab viel zu beachten, je nachdem, ob der Held makellos oder ein Schuft war. Und darf man Joseph Campbell (1904-1987)[iv] Glauben schenken – und das sollte man durchaus, denn seine Schlussfolgerungen beruhen auf intensivem Studium der Mythologien der Welt und haben uns letztlich Geschichten wie Star Wars [v] beschert – hat er immer, wirklich immer eine schwere Reise vor sich, aufregend auch, ja, aber nie ohne Prüfungen und natürlich nicht ohne Rückschläge. Wo um alles in der Welt sollte sonst die Entwicklung herkommen, die Reife, das sich Wandeln, bis zur Rückkehr.
In den Mythen der Menschheit entdeckte Campbell eine Art "Helden-Archetypen", der trotz aller Variationen – von den Upanishaden über mittelalterliche Heldenepen über Hollywoodfilme, Romane und Computerspiele, also von Jesus Christus bis Darth Vader – eine "Helden-Reise" vor sich hat. Er verlässt seine Umgebung, macht Erfahrungen, trifft Mentoren, erfährt Prüfungen, kommt zu Erkenntnissen und kehrt schließlich verändert zurück. Eine Reise, die wir alle mehr oder weniger in unserem Leben durchlaufen. Und auch das ist etwas, das bleibt und uns beim guten Geschichtenerzählen leitet.
Zur Orientierung: Der Drehbuchautor Christophe Vogler unterteilte die Heldenreise in 12 Stufen.[vi] Wir können von Hollywood viel lernen.
Drama. Baby. Drama! – oder: Wer bist Du?
Und nun sind wir beim Drama von Bruce Darnell angekommen. Denn der Titel seines Buches lautet: Drama, Baby, Drama – Wie Sie werden, was Sie sind [vii]. Es ist ein Ratgeber, der uns bereits auf der ersten Seite, noch vor Schmutztitel, Impressum, Inhaltsverzeichnis et cetera mit einem Spiegel (ja, es ist wirklich ein Spiegel auf die Seite geklebt – übrigens auch auf die letzte Seite, mit dem Hinweis: „Das bist Du! Du bist schön!“ – nur zur Info) empfängt, und der Frage: „Wer bist Du?“. Nun ist das möglicherweise die schwerstmöglich zu stellende Frage überhaupt. Zumal sich das im Laufe des Lebens ändert – oder nicht? Sie sehen, wir sind bereits hier in der Philosophie angekommen.
Aber zurück zum Ratgeber: Dieser ist letztlich auch eine Geschichte und erzählt Geschichten. Nämlich die Geschichten von Veränderung. So man mit Darnell diesen Weg geht. In der Tat nimmt Darnell seine Leserinnen – nur für sie ist dieser Ratgeber gedacht – mit auf einen Weg, der letztlich zu sich selbst führt, über das Aussehen und vor allem die innere Einstellung zu sich selbst. „Rethink Your Life“ – heißt es da und gibt der „inneren Stimme“ Raum und vor allem positive Beachtung durch Style, „Sex-Appeal“ und Selbstliebe. Sie sollen „herausfinden, wohin die Reise Ihres Lebens in Zukunft gehen soll.“
Wir Leserinnen befinden uns also auf einer Reise beziehungsweise wir begeben uns auf eine, wenn wir Darnell folgen. Und die beginnt mit dem Überdenken der inneren Einstellung. Es folgen – ich fasse das zusammen – Tipps für Kleidung, Make-up, Style, Sport, Essen, Entspannung. Aber auch Tricks für High Heels, Dessous und Jeans-Käufe. Wer jetzt meint, ich wäre völlig abgedriftet – mitnichten! Denn was Darnell bereits mit Beginn des Buches klar macht, ist das Ziel. Wir sind auf dem Weg zur „perfekten Frau“. Aber Achtung, es heißt dort:
„Wenn es so etwas überhaupt gibt, ist die „perfekte Frau“ ganz bestimmt nicht eine, die aussieht wie ein Supermodel! Sondern eine Frau, die sich selbst akzeptiert. Die weiß, dass sie auf einer Reise ist, ihrer persönlichen Reise durch das Leben. Auf der sie jeden Tag nehmen muss, wie er ist – und dabei versucht, das Beste aus diesem Tag zu machen!“
Und auch die Methode ist klar: „… dazu gehört auch, das Beste aus sich selbst zu machen! Dazu müssen Sie allerdings zunächst auf das zurückgreifen und vertrauen, was Ihnen die Natur mitgegeben hat.“ In der Tat.
Darnell macht seine Leserinnen zu Heldinnen ihres eigenen Lebensweges. Er ist der Mentor und Frau begibt sich auf die Reise – über Klamotten-Klippen, High-Heel-Prüfungen, Make-up-Fallen – hin zu einem besseren Selbst, das bereits irgendwie angelegt ist in ihr und das sie lediglich erkennen, herausfinden – ja irgendwie auch „herausputzen“ muss. Feel good - gutes Leben, bessere Stimmung - mehr Glück. So einfach ist es, oder eben nicht.
Unter dem gleichnamigen Kapitel des Buches – Drama, Baby, Drama! – heißt es: „Wenn Sie alles beherzigt haben, was ich Ihnen bis zu dieser Stelle erklärt habe, sehen Sie jetzt einfach toll aus! Das geht gar nicht anders. Denn Sie fühlen sich wohl in Ihrer Haut.“ Und: „Jede Frau kann die Ausstrahlung einer Göttin entwickeln!“ Also meine Damen, auf geht’s!
Das Drama liegt also in der eigenen Ausstrahlung, die aus dem Inneren, dem eigenen Selbstverständnis, dem Selbstvertrauen erwächst – das man sich wiederum hart erarbeiten muss, auf dieser Reise. Eine Geschichte, die individueller nicht sein könnte. Und mit der wir uns identifizieren. Und Emotionen verbinden. Es betrifft uns. Wir sind "on".
Bleibt lediglich die übliche Problematik der Ratgeberliteratur: Man muss die Ratschläge befolgen. Meist über einen längeren Zeitraum. Eine Reise eben mit Klippen, Prüfungen und Fallen, um zum neuen „Göttinnen“-Selbst zu kommen. Und ohne den rechten Ansporn – das goldene Vlies für Jason, das Königreich samt Prinzessin beziehungsweise Prinzen, eine neue Gesellschaftsform oder oder oder … wird es nicht funktionieren.
Finden Sie also Ihrem Ansporn, definieren Sie Ihre Ziele, suchen Sie einen passenden Mentor, begeben Sie sich auf die Reise und geben Sie nicht auf – dann kommt die großartige Geschichte fast von allein! Und das gilt immer - auch für Ihre Unternehmungen, Ihre Produkte, Ihre Visionen. Gute Reise!
[i] Die Poetik des Aristoteles ist unvollständig überliefert. Aristoteles kündigt in der Schrift an, nach Tragödie und Epos auch die Komödie behandeln zu wollen. Auch in seiner Rhetorik verweist er zweimal auf eine Behandlung des Lächerlichen in der Poetik. Beides fehlt im uns vorliegenden Text. Die Forschung nimmt an, dass dies in einem nicht erhaltenen zweiten Buch der Poetik behandelt wird.
Dieses mutmaßlich verlorene Buch über die Komödie, die menschliche Fähigkeit zum Lachen und das Lächerliche spielt eine zentrale Rolle in Umberto Ecos Roman Der Name der Rose.
[ii] Freytag fasst in seinem Buch die Dramentheorie des geschlossenen Dramas nach Aristoteles und Friedrich Schiller zum "pyramidalen Aufbau“ des klassischen Dramas zusammen.
[iii] Aristoteles, Poetik: 13 [iv] Joseph Campbell erlangte Bekanntheit durch die Fernsehserie Joseph Campbell and the Power of Myth, einer sechsteiligen Interviewreihe mit dem Fernsehjournalisten Bill Moyers (aufgenommen z. T. auf der Skywalker Ranch des Star-Wars-Schöpfers George Lucas). Die Reihe erreichte unmittelbar nach Campbells Tod 1987 ein Millionenpublikum.
[v] Campbells Ideen beeinflussten u. a. den Filmemacher George Lucas bei der Entwicklung seiner Star-Wars-Saga, Computerspielentwickler Richard Garriott, Regisseur George Miller bei der Ausgestaltung seines vielfachen Protagonisten Mad Max.
[vii] Bruce Darnell, Christiane Stella Bongertz: Drama, Baby, Drama – Wie Sie werden, was Sie sind. Ehrenwirth 2008.
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