Wann hatten Sie zuletzt eine Bildschirmbegegnung, die Sie so richtig die Nase rümpfen ließ oder Sie in Ihre tiefste Kindheit, in die nach frischgebackenem Kuchen riechende Küche der Großmutter, zurückversetzt hat? Noch nie? Das glaube ich Ihnen nicht.
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Sicher - begreift man das Medium Film als geruchsneutralen Raum, so ist es natürlich unmöglich, die gezeigte Bildsequenz auf olfaktorischer Ebene zu erleben. Und doch möchte ich mit Gewissheit behaupten, dass es diesem vermeintlich geruchlosen Medium gelingen kann, Gerüche in eine andere, sinnlich erfahrbare Sprache zu transkribieren.
Demonstrieren möchte ich dies anhand einer Geschichte. Einer Geschichte, in der das Geruchsmotiv essenziell ist. Einer Geschichte, welche die Methoden des audiovisuellen Geschichtenerzählens anhand einer olfaktorischen Sinnestäuschung nachvollziehbar auf Leinwand bannt - Haben Sie Das Parfum von Patrick Süßkind gelesen? Dann kennen Sie die Geschichte. 2006 als Literaturverfilmung erschienen, durch Bernd Eichinger produziert und von Regisseur Tom Tykwer inszeniert, offeriert die filmische Umsetzung der Romanvorlage fundamentale Aspekte des visuellen Erzählens.
Aspekte, die keinesfalls allein für das Genre des Spielfilms zutreffen, sondern auch in der modernen Unternehmenskommunikation, im Visual Storytelling, eine Rolle spielen und durchaus anwendbar sind.
„So setzt »Visual Storytelling« nicht, wie in der Unternehmenskommunikation üblich, auf neutrale Informationen und faktenbasiertes Wissen, sondern bedient sich der Überzeugungskraft emotionaler Geschichten. Darüber hinaus vertraut diese Kommunikationstechnik auf die Effizienz und Rezeptionsgeschwindigkeit visueller Elemente.“[1]
Es geht um Emotionen. Es geht um die Frage: Wie kann ich mein Produkt, meine Dienstleistung, mein Unternehmen für den Kunden sinnlich und, wenn es gut läuft, damit auch emotional erfahrbar machen. Häufig erfolgt dies auf digitalem Terrain. Der Schritt in die audiovisuelle Produktpräsentation in den sozialen Medien ist dementsprechend notwendige Konsequenz.
Literaturverfilmungen und der Heldentod audiovisueller Geschichtenerzähler
Kurz zur Abgrenzung. Mir ist durchaus klar, dass es sich bei dem von mir ausgewählten Film um eine der umstrittensten Literaturverfilmungen der letzten fünfzig Jahre handelt. Dennoch werde ich hier keine Analyse zum Medienwechsel oder einen Vergleich zwischen Buch und Film vornehmen, denn das ist nicht das Thema. Grundsätzlich besteht im Diskurs um die Literaturverfilmung an sich seit jeher eine gewisse Abwertungsdidaktik. Als Regisseur einer Literaturverfilmung kannst du eigentlich nur verlieren. Häufig stehen Fragen im Raum wie: „Wird die Verfilmung dem Buch gerecht? Ist sie genauso gut wie der Roman?“ Und genau damit stoßen wir auf ein Problem, das als Favorisierung des Ausgangsmediums beschrieben werden kann.[2] Denn Werktreue ist und bleibt Bewertungskriterium für eine Literaturverfilmung, allerdings sind mittlerweile die Realisierungswege der Filmemacher, welche sich im ästhetischen Bereich befinden und gezielt mit den spezifischen Mitteln des Films arbeiten für uns an diesen Stelle von weitaus größerem Interesse.[3]
Das Parfum und das flüchtige Reich der Gerüche
Sowohl in der Literaturvorlage als auch im Film wird vom flüchtigen Reich der Gerüche gesprochen - und tatsächlich lassen sich Geruchseindrücke nicht über einen kurzlebigen Moment hinaus konservieren. Allein unser Erinnerungsvermögen vermag es, den kurzen olfaktorischen Sinnesreiz abzuspeichern und ihn damit für künftige Ereignisse abrufbar zu machen.[4] Und genau das ist der Punkt: Wir speichern Sinneseindrücke ab und können bei künftigen Begegnungen, ganz egal, welcher sinnlichen Art, auf sie zurückgreifen. Dies erfolgt in vielen Momenten unbewusst. Unser Gehirn spielt uns sozusagen einen Streich und befördert Bekanntes zurück an die sinnliche Oberfläche, um ausgehend davon unbekanntes Terrain mit einer gewissen Grundsicherheit erfahrbar zu machen. An diesen Aspekt knüpft auch Patrick Süßkind in der Romanvorlage seine anfänglichen Ausführungen an. Drastisch und zugleich überaus anschaulich beginnt die Geschichte mit einer umfangreichen Schilderung der Geruchsumgebung, in welche sich der Leser nun begeben wird.
„Zur der Zeit, von der wir reden, herrschte in den Städten ein für uns moderne Menschen kaum vorstellbarer Gestank. Es stanken die Straßen nach Mist, es stanken die Hinterhöfe nach Urin, es stanken die Treppenhäuser nach fauligem Holz und nach Rattendreck, die Küchen nach verdorbenen Kohl und Hammelfett; die ungelüfteten Stuben stanken nach muffigen Staub, die Schlafzimmer nach fettigen Laken, nach feuchten Federbetten und nach dem stechend süßen Duft der Nachttöpfe (…)."[5]
In der Regel dürften Ihnen nicht unbedingt all diese Gerüche bekannt sein, jedenfalls hoffe ich das für Sie. Und trotz dieser unbekannten Komponenten schafft es Süskind, den Leser geschickt in diese durchaus fremde Welt einzuführen und zu sensibilisieren. Ausgehend von bekannten Gerüchen erweitert er die Imagination des Rezipienten und lässt vorhandene Erfahrungswerte mit unbekannten Geruchskomponenten verschwimmen, sodass sich im Falle des ersten Romankapitels ein widerlicher Cocktail aus üblen Gerüchen in der Nase des Lesers ansiedelt.[6]
Aber wie gelingt es nun Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Tom Tykwer, den Bestseller von Patrick Süskind in filmischen Code zu übersetzen und damit auch die Erfahrbarkeit der olfaktorischen Note in ein neues Medium zu übertragen? Die Darstellungsmöglichkeiten im Film sind vielfältig. Die Filmemacher haben die Möglichkeit, sowohl akustisch als auch visuell zu arbeiten und so auf verschiedenen sinnlich erfahrbaren Ebenen zu agieren. Als klarer Vorteil des Buches gilt allerdings, dass der Leser sich mit Hilfe seiner Phantasie eine eigene Welt erschaffen kann. Ein Text unterliegt stets einer gewissen Abstraktion, die erst mit dem Denkvermögen des Lesers konkrete Form annehmen kann. Jeder Rezipient des Textes verarbeitet das Gelesene individuell und lässt dabei eigene Bilder entstehen. Im Film sind diese Bilder vorgegeben. Die Phantasie des Zuschauers wird dabei in gewisser Weise eingeschränkt. Dies gilt besonders bei Literaturverfilmungen als Schwäche. Nahezu jedes Detail ist klar definiert. Die Produzenten sind dementsprechend gezwungen, sich auf eine konkrete Darstellung festzulegen.
Übertragen wir diesen Umstand auf das Visual Storytelling, beispielsweise auf die gezielte Platzierung eines Produktes, so kann es durchaus von Vorteil sein, ein konkretes, detailliertes Bild nach eigenem wirtschaftlichen Interesse zu formen. Es gilt eine Art von szenischer Wirklichkeit zu erschaffen, die im Idealfall perfekt auf Produkt und Unternehmen zugeschnitten ist.
Visualisierung - Schauen Sie genau hin!
Tom Tykwer setzt verschiedenen Methoden ein, um die Geruchswelt des Romans im Film für die Zuschauer fühlbar zu machen. Grundlage für die direkte Visualisierung von Geruch, welche ich hier betrachten möchte, ist ebenfalls das menschliche Erinnerungsvermögen. Der Zuschauer muss durch bildhafte Eindrücke wiederholt abgespeicherte, olfaktorische Reize aus dem Gedächtnis abrufen, sie automatisch vergleichen, ins Verhältnis setzen und sie durch die Sprache der Bilder fiktiv ausbauen. Besonders eindrucksvoll wird dies in der Eingangsszene des Filmes auf dem Pariser Fischmarkt demonstriert (Spielfilm: 00:03:58-00:06:32). Angeschaut? Und jetzt sagen Sie nochmal, ein Film kann nicht stinken. Doch was machen diese Bilder mit uns? Schmierige Fischabfälle, verwesende Tierkadaver, Dreck, Exkremente und mittendrin das neugeborene Kind, welches nach der Niederkunft lieblos im Dreck liegen gelassen wurde und obendrein gezeigt als schnell aufeinander folgende Detailaufnahmen. Näher dran geht nicht. Der Zuschauer wird sozusagen mit der Nase in den Dreck gestoßen. Bei einer näheren Betrachtung der Einstellungen wird deutlich, dass die Kamera willentlich besonders geruchsintensive Motive in den Bildfokus rückt. Dabei sind es zahlreiche Nah- und Detailaufnahmen, die in einer hart geschnittenen Bildfolge aufeinanderprallen und so eine zielführende Rolle bei der Geruchskonstruktion einnehmen. Dieses Assoziationsprinzip funktioniert sowohl bei der Erschaffung eines infernalen Gestanks als auch bei der Konstruktion von verführerischen Wohlgerüchen, welche in der Romanverfilmung ebenso eine ganz klar definierte Position einnehmen.[7] Die im Gedächtnis des Rezipienten abgerufenen Geruchsempfindungen sind dazu gepaart mit gewissen Emotionen, welche recht individuell sein können. Die Filmszene auf dem Fischmarkt, so abartig sie auch sein mag, zeigt, wie Bilder die Grenzen unserer Sinne gezielt aufweichen können.
Ich habe diesen Film bewusst gewählt, um Sie dafür zu sensibilisieren, ihre Bildauswahl achtsam zu treffen, mit Perspektiven, Farben und Motivkontrasten zu spielen, sie gekonnt einzusetzen, um an einer Wirkung ihrer Bilder zu arbeiten. Ich möchte Sie dazu ermutigen, die professionelle Herangehensweise zeitgenössischer Filmemacher auch für sich zu nutzen. Es geht dabei nicht um kostenintensive Kameratechnik, sondern vielmehr darum, mit einer routinierten und professionellen Herangehensweise, bestmögliche Ergebnisse im digitalen Dunstkreis Ihres Unternehmens zu erzielen. Trauen Sie sich etwas, erinnern Sie sich und lassen Sie sich inspirieren. Seien Sie in ihrer Bildauswahl bewusst mutig, elegant, waghalsig, arrogant, romantisch. Nur seien Sie! Irgendetwas!
Sei es drum - Abschließend noch ein kleiner Tipp von mir: Emotionen können nur durch eine gewisse Nähe entstehen. Begeben Sie sich also zunächst einmal auf Augenhöhe mit dem abzubildenden Objekt. Das ist immer ein guter Anfang. Vielleicht hätte ich Ihnen das schon mal eher verraten können, denn damit können Sie fernab von anderen perspektivischen Stilformen erstmal so gar nichts falsch machen.
Film: Tykwer, Tom: Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders. Produktion: Bernd
Eichinger. Drehbuch: Andrew Birkin/ Bernd Eichinger/ Tom Tykwer. Constantin Film 2006.
Literaturvorlage: Süskind, Patrick: Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders. Zürich:
Diogenes 1994.
[1] Sammer, Petra / Heppel,Ulrike: Visual Storytelling. Visuelles Erzählen in PR & Marketing. dpunkt.verlag GmbH, Heidelberg, 2015, S.82.
[2] Vgl. Hoesterey, Ingeborg: Filmadaption und Intermedialität: Patrick Süskinds Roman Das Parfum in Tom Tykwers Regie. In: Gegenwartsliteratur: Ein germanistisches Jahrbuch: Literatur und Film / Literatur und Erinnerung. Hg. Lützeler, Paul Michael / Schindler, Stephan. Tübingen: Stauffenburg Verlag 2008, S. 36.
[3] Vgl. Frizen, Werner / Spancken, Marilies: Patrick Süskind: Das Parfum. München; Düsseldorf; Stuttgart, Oldenbourg Schulbuchverlag GmbH, 2008, 3., ergänzte Auflage, S.131.
[4] Vgl. Reisner, Hanns-Peter: Patrick Süskind: Das Parfum. Stuttgart; Düsseldorf; Leipzig, Klett, 1998, S.58.
[5] Süskind, Patrick: Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders. Zürich: Diogenes 1994 S.5f.
[6] Vgl. Gans, Michael: Immer der Nase nach - Olfaktorik in Roman und Film. In: Mediale Sichtweisen auf Literatur. Hg. Michael Gans/Jost, Roland/Kammerer Ingo. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2008, S.46.
[7] Vgl. Reisner, Hanns-Peter: Patrick Süskind: Das Parfum. Stuttgart; Düsseldorf; Leipzig, Klett, 1998, S.61.
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