Trinken Sie Whisky?
Ich meine, so richtig. Nicht Whisky-Cola, nicht Whisky on the rocks und nicht als Highball. Ich meine, so richtig. Als Single Malt, Single Cask, in Cask Strenght, mit Blick auf das Holz des Fasses, dessen vorherige Füllung, auf Lagerlänge, Lagerklima, Torf-, Holz- oder gar kein Rauch … Man kann das nahezu endlos fortführen.
Ich trinke Whisky.
Seit Langem. Mit Passion. Ich besuche Länder, Destillerien, Messen. Und ich besuche Tastings. Nicht die üblichen, von Händlern, Läden, Bars angebotenen Tastings. Nein. Ich besuche die der passionierten Whisky-Trinker. Oft semi-privat organisiert, kleiner feiner Kennerkreis, exklusive Line des Abends, erfahrene ambitionierte Bottler als Ansprechpartner und Auswahlhilfe zu ausgewähltem Thema.
Warum ich das erzähle?
Im Whisky liegt nicht nur Wahrheit – wie gemeinhin Wein und alkoholischen Getränken nachgesagt. In Whisky liegt sehr viel mehr. In Whisky liegen Geschichten. Und damit perfektes Marketing. Nicht nur der Destillerien. Auch und vor allem der Whisky-Trinker. Auch wenn ihnen das selten bewusst ist. Das funktioniert. Und zwar seit Jahrzehnten, wie der globale Whisky-Markt deutlich zeigt. Das ist der Grund, warum ich hier eine Geschichte von Whisky erzähle. Und vom Storytelling. Und von einem perfekten Mythos.
Scotch Whisky Heritage Centre, Edinburgh (Foto: M. Kahle)
Wie funktioniert Whisky-Trinken? Und was hat das alles mit Storytelling zu tun?
Dies ist die Geschichte einer Geschichte. Vieler Geschichten. Denn wenn Sie lernen wollen, wie man Geschichten erzählt, wenn Sie lernen wollen, wie professionelles Storytelling funktioniert, können Sie natürlich eines unserer Seminare besuchen. Was ich Ihnen ohne Frage ans Herz lege. Sie können aber auch schlicht Whisky trinken. Wobei daran gar nichts schlicht ist. – Denn Sie müssen Ihren Whisky mit Passion trinken.
Was Sie erfahren, wenn Sie das tun, ist nicht nur ein – wohlgemerkt immer wieder – hochspannender Geschmack von Whisky. Was Sie erfahren, sind Emotionen. Die Emotionen des Whisky-Trinkers, die er nur zu gern mit Ihnen teilt. Oder Sie mit Ihm, wenn Sie denn dann ebenfalls Whisky trinken. Whisky-Trinker sind Geschichtenerzähler, große Geschichtenerzähler.
Geschichten von Whisky …
Da sind zunächst die Destillerien, die, zugegeben eher mäßig kreativ, mit sämtlichen Superlativen aufwarten, die, so scheint es, je zu finden waren und wohl auf ewig zu finden sein werden, und damit per se schon eine Geschichte haben – was wiederum doch irgendwie ein bisschen kreativ ist.[1]
Doch Whisky lebt vor allem von und mit den Geschichten der Menschen, die ihn trinken. Die mit ihrer Liebe und Begeisterung – eben mit ihren Emotionen – dieses Getränk zu etwas noch Besondererem machen, als es bereits ist.
Sie erzählen vom unvergesslichen Geschmack der Cadenhead[2]-Abfüllung eines Dallas Due[3], 27 Jahre, 1979 destilliert, Mai 2007 gebottelt. Gelagert in einem Bourbon Hogshead Cask, Matured in Oak Cask, Flaschennummer 198. Geruch: medizinisch mit Karamellnote und Trockenfrucht Pflaume. Geschmack: süßlich, karamellig, die Trockenpflaume kommt auch im Geschmack, schön ledrig, leichte Citrusfrische. Langer Abgang. Insgesamt rund, vollmundig, charakteristisch – hat alles, was ein guter Whisky haben muss. Note 2+ bis 1-.[4]
(Foto: M. Kahle)
Sie wissen exakt die Nummer des Fasses, eines bestimmten, für sie außergewöhnlichen Whiskys, den sie vor Jahrzehnten tranken (eventuell sogar das Wetter des Tages).
Sie erinnern sich an ihren ersten Dram[5] Octomore (der Rauchweltmeister!)[6]. Und erzählen von der Suche nach alten Whisky-Beständen, die nach der (eine These sagt: zyklisch bedingten) Massenschließung schottischer Destillerien in den 80er-Jahren billig in die Hände verschiedenster Käufer gelangten, die die Fässer noch liegen haben, die wiederum gefunden werden wollen.
Sie kennen Klimabedingungen und damit Lagerung und Alter nicht nur schottischer, sondern auch taiwanesischer, japanischer, deutscher, schwedischer Whiskys. Und parlieren über NAS-Whiskys[7], die sie ähnlich gut einordnen können wie „12+“-Single Malts.
Sie erzählen von Menschen, Orten, Herausforderungen und einem Weg der Veränderung – hin zum Experten, zu einem oder einer, der oder die es besser weiß, weil er oder sie Erfahrung hat, und Wissen. Und einen langen Weg hinter sich. Was sie vermitteln, ist nicht allein ein Getränk, so gut es auch sein mag. Es ist ein Lebensgefühl.
Mythos von „whatever“
Wenn Sie sich nun an Weintrinker oder jegliche andere mit Begeisterung gelebte Passion erinnert fühlen – haben Sie damit recht. Und das ist ein wichtiger Punkt. Ob Whisky oder Wein, ob Bücher oder Malerei, ob Sport oder Autos, passionierte Menschen erzählen von ihren Leidenschaften. Und als Erzähler machen sie mit ihren Geschichten, die ihnen übrigens niemals ausgehen und immer neue Abenteuer, Problemstellungen, Entwicklungen in unzähligen Sprachbildern heraufbeschwören, das Produkt zum Mythos.
Ein Mythos (altgriechisch μυθος, Laut, Wort, Rede, Erzählung, Mär) ist eine Geschichte, der eine symbolische Bedeutung zukommt, in gewisser Weise eine Autorität vor anderen, gewöhnlichen Geschichten. Und Mythen begleiten uns, seit es uns Menschen gibt. Sie sind der Schlüssel dafür, menschliche Erfahrung zu verstehen.
Den Mythen der Menschheit, und zwar sämtlichen Mythen, ist etwas gemein. Sie alle haben einen Kern, etwas, das sie verbindet: die sogenannte Heldenreise.[8] Jemanden, der auszieht, aus welchem Grund auch immer, Erfahrungen sammelt, Herausforderungen meistert, sich selbst dabei erkennt und letztlich verändert, an sich selbst gewachsen zurückkehrt.
Das ist etwas, womit wir uns identifizieren können. Es ist unser aller Weg durch das Leben. Etwas, das uns verbindet. Das funktioniert im täglichen Leben. Es funktioniert aber auch in Teams, in Unternehmen, im Marketing. Mit einem Mythos beziehungsweise dessen Besonderheit liebäugelt man, man erkennt sich darin, man sucht etwas darin. Vielleicht sich selbst. Etwas bekommt einen Sinn. Es wird zum Lebensgefühl, zum Must-have.
Marketing at its best also.
„Mythos ist der identifikatorische Klebstoff, der Menschen in einer Gruppe erfolgreich zusammen agieren lässt, der Teams in einer Firma motiviert, denn er stiftet ihrem Tun einen Sinn.“[9]
(Foto: M. Kahle)
[1] Ein kleiner Blick dorthin: https://www.whisky-connaisseur.de/scotch-whisky-facts-figures/superlativen-schottischer-destillerien/
[2] Cadenhead ist der älteste unabhängige Bottler Schottlands – und deren Laden in Edinburgh eine Legende. Was soll ich sagen – die Jungs (und hoffentlich mittlerweile auch ein paar Mädels) verstehen ihr Handwerk aufs Beste.
[3] Dallas Dhu wurde 1898 von Alexander Edward gegründet, der auch Benromach Destillerie baute. 1983 wurde die Brennerei stillgelegt.
[4] Solcherlei Angaben sind die Laienversion; sie werden sorgfältig in unzähligen Notizheften notiert und gesammelt.
[5] Der Definition nach ist ein Dram im alten englischen Maßsystem exakt 0,003551633032809 l, was etwa 3,55 ml entspricht. Diese Menge bedeckt wohl nicht einmal den Boden eines Nosing-Glases. Bis zu einer Reform im Jahr 1963 war es in Großbritannien üblich, dass man Spirituosen zu 1/4 , 1/5 oder 1/6 eines Gill (1 Gill = 142 ml) ausschenkte, was 35,5 ml, 28,4 ml beziehungsweise 23,7 ml entspricht. Mit einem Dram war also ein kleinerer oder größerer Schnaps gemeint. 1987 wurde das System vereinfacht, die Spirituosenmaße in Bars wurden seitdem mit 25 ml oder 50 ml (doppelt) bemessen. Seit dem Jahr 2001 gelten in Großbritannien Maße von 25 ml oder 35 ml pro Dram. https://www.maltwhisky.de/whisky-dram/
[6] Obwohl es den Octomore als Abfüllung von Bruichladdich erst seit Dezember 2008 käuflich zu erwerben gibt, reicht seine Historie länger zurück. Die Geschichte der Brennerei Octomore beginnt 1789 auf der Insel Islay mit George Montgomery. Mit 27 Jahren gründet er die Octomore Brennerei auf einem Hügel bei Port Charlotte.
Die erste Edition des Octomore wurde im Jahr 2003 destilliert und im Dezember 2008 abgefüllt.
Man muss wissen, dass der Torfgehalt eines Whiskys in ppm (parts per million) angegeben wird. Aber es wird eben nur der Phenolgehalt in der Gerste nach dem Mälzen bzw. dem Trocknen über Torfrauch angegeben. Leicht getorfte Whiskys besitzen einen Phenolgehalt im Gerstenmalz von ca. 10 ppm. Stark getorfte Whiskys, wie eben der Port Charlotte, üblicherweise wischen 20 und 50 ppm. Es gelang Bruichladdich durch Experimentieren, den Torfgehalt auf sage und schreibe 131ppm zu erhöhen, Weltrekord!
[7] NAS = Non Age Statement: Whiskys ohne Altersangabe auf dem Etikett. Bei den meisten NAS-Whiskys handelt es sich ganz regulär um Single Malts. Der Unterschied: Da per Gesetz immer das Jahr des jüngsten Whiskys in der Flasche angegeben werden muss, verzichten viele Brennereien auf eine Altersangabe. In No Age Statements sind also häufig auch Tropfen enthalten, die weniger Zeit im Holzfass verbracht haben. Für die Destillerien bietet das den Vorteil, dass sie ihren Whisky günstiger produzieren können (Kostenfaktor) und auch bei größerer Nachfrage genug Whisky bereit halten können (Zeitfaktor). Braucht eine übliche Standardabfüllung 10 oder 12 Jahre bis sie bereit zum Verkauf ist, können im NAS auch schon mal Whiskys mit 5 oder 7 Jahren stecken. In der Folge schwankt die Qualität zwischen den Whiskys deutlich: Es gibt sehr gute und empfehlenswerte Abfüllungen neben durchschnittlichen Flaschen. Häufig bringen NAS-Whiskys allerdings andere Features mit und erhalten zum Beispiel ein besonderes Finish in speziellen Holzfässern. Ob dies das fehlende Alter ausgleichen kann, ist ein andauernder Diskussionspunkt unter Whisky-Liebhabern.
[8] Joseph Campbell mit Bill Moyers: Die Macht der Mythen. DVD. Auditorium Netzwerk 2013.
[9] Beyer, Martin: StoryThinking. Vahlen, 2018, Seite 15.
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